Das Dirnenlied ist eine Liedgattung, die in den „Goldenen Zwanzigern“ des letztes Jahrhunderts zur Blüte gelangte, in den 30er Jahren dann aber wieder von den Spielplänen der Theater verschwand. Mit ihrem gleichnamigen Solostück ließ Schauspielerin Lisa Hanöffner das Genre wieder aufleben und präsentierte es jetzt in der Aula der Realschule im Rupertiwinkel. Lehrerin Christine Asen bedankte sich mit einem Strauß Blumen bei der Schauspielerin der Theatergruppe „Grenzgänger“ aus Oberndorf für ihre gekonnte und lebendige Darbietung.

Zu den Dirnenliedern, deren Thematik um Leben oder Figur einer Dirne und des Prostitutionsmilieus kreist, sind im engeren Sinn Rollenlieder, in denen eine Prostituierte aus der Ich-Perspektive über ihr eigenes Leben berichtet.
Bereits im Winter war es Frau Asen, Leiterin der Fachschaft Deutsch an der Realschule, gelungen, die freiberufliche Schauspielerin, Regisseurin und Autorin für einen Auftritt zu gewinnen. Hanöffner präsentierte sich ganz im Outfit der Stummfilmstars aus den 20er Jahre – ein bisschen verrucht, aber vor allem patent und lebenslustig. Wie für so viele Frauen ihrer Zeit ist auch der Alltag von Karla von Stelzenbül, die im Mittelpunkt des Stückes steht, geprägt von Emanzipation und Lebensfreude. Sie ist keine „feine Dame“, sondern der Typus der kessen und schnippischen Berliner Göre mit frechem Mundwerk.
Schnoddrig und mit zahllosen Pointen gespickt kommt die doppelbödige Krimi-Komödie daher. Das Stück hat Witz und Lisa Hanöffner eine charmante und überzeugende Interpretin dieses umfangreichen Monologs. In ihrer Rolle als adoptierte Adlige fühlt sich Karla sichtlich wohl. Sie genießt das Lebensgefühl der zwanziger Jahre und verkehrt in den besten Kreisen von Zehlendorf mitten in Berlin. Sie geht ins Theater und frönt den alkoholischen Genüssen in vollen Zügen. So könnte das unbeschwerte Leben immer weiter gehen. Bis ihre Freundin Käthe die Theaterkulisse nutzt, um einen skandalumwitterten Tanz aufzuführen. Käthe verschwindet daraufhin und Karlas Welt gerät arg ins Wanken.
Der Künstlerin gelang es, die Jugendlichen ein Stück mitzunehmen in die Welt der Goldenen Zwanziger, auch wenn es für die jungen Leute nicht immer ganz leicht war, ihren in hohem Spieltempo vorgetragenen Monologen zu folgen. Denn knapp hundert Jahre nach der erzählten Zeit zeigt sich die Welt in einem gänzlich anderen Gesicht.
J. Vesper